July 27, 2020
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Yvonne Rohling

Klangspektakel

Kritik von Yvonne Rohling, 20.07.2020, Magazin Klassik

Die Geigerin Eldbjørg Hemsing kehrt auf ihrer neuesten Aufnahme zu ihren norwegischen Wurzeln zurück: Gemeinsam mit dem Pianisten Simon Trpceski spielt sie alle drei Violinsonaten von Edvard Grieg ein – und verzaubert.

Die Geigerin Eldbjørg Hemsing kehrt auf ihrer neuesten Aufnahme zu ihren norwegischen Wurzeln zurück: Gemeinsam mit dem Pianisten Simon Trpceski spielt sie alle drei Violinsonaten von Edvard Grieg ein – und verzaubert.

Die junge, norwegische Geigerin Eldbjørg Hemsing machte bereits mit ihrer vorherigen Einspielung auf sich aufmerksam. Auf ihrer Debüt-CD, die im Jahr 2018 erschien, brillierte sie nicht etwa, wie es der gute ‚Standard‘ von einem jungen, talentierten Künstler verlangt, mit einem der großen Violinkonzerte von Brahms, Beethoven oder gar Tschaikowsky. Erfrischenderweise wählte sie stattdessen die Violinkonzerte von Hjalmar Borgström und Dmitri Schostakowitsch. Es folgten weitere, ebenfalls von der Kritik gefeierte Aufnahmen (erschienen bei BIS). Ihre jüngste Aufnahme ist zugleich ihre erste kammermusikalische Einspielung: Mit dem Pianisten Simon Trpčeski spielt sie die drei Sonaten für Violine und Klavier von Edvard Grieg (1843-1907). Erschienen ist auch diese CD beim Label BIS.

Drei seiner besten Werke

Edvard Griegs drei Sonaten für Violine und Klavier haben eine regelrechte Nischenposition im Repertoire für diese Besetzung inne. Innerhalb Griegs Œuvre zeigen diese Sonaten die wesentlichen Etappen seiner künstlerischen Entwicklung: Emanzipation von der inspirierenden Nähe Schumanns, Anlehnung an die norwegische Volksmusiktradition sowie weiträumige Themen- und Zeitregie. Grieg selbst schrieb einst über seine Sonaten: ‚Die erste, naiv, reich an Vorbildern; die zweite national und die dritte mit dem weitesten Horizont.‘ Alle drei zählte er zu seinen besten Werken.

Eldbjørg Hemsing und Simon Trpčeski ziehen den Hörer von der ersten Minute an in ihren Bann. Mit ihrer unglaublichen Präsenz der Tongebung und ihrer variablen Klanggestaltung präsentiert sich Hemsing als stets kluge Interpretin, zeigt sich ausdrucksstark und musikalisch äußerst differenziert. Sie bedient mühelos die unterschiedlichen klanglichen Register ihres Instruments und agiert in den Nuancen sehr feinfühlig zwischen Sensibilität, Ausdruckskraft und Stärke. Simon Trpčeski ist ein hellwacher, reaktionsschneller Musikpartner, der sich zurückzunehmen weiß und sensibel auf Hemsings Spiel eingeht, jedoch an den richtigen Stellen auch Selbstbewusstsein an den Tag legt. Die beiden gestalten Phrasierung und Gewichtung ausgezeichnet und sind harmonisch aufeinander eingespielt.

Norwegischer Zauber

In der Sonate Nr. 1 in F-Dur, op. 8 zeichnen Hemsing und Trpčeski ein romantisch-lyrisches Stimmungsbild des ersten Satzes ‚Allegro con brio’. Dem mischt Hemsing eine geheimnisvolle Klangfarbe bei, die insbesondere in den leisen Passagen des Satzes zum Vorschein kommt. Trotz des geringeren Bogendruckes nimmt die Intensität ihres Tones nicht ab, sondern erzeugt eine schwerelose Leichtigkeit, die dem Satz außerordentlich gut zu Gesicht steht – beinah etwas Mystisches beleuchtet. Doch auch das prompte Umschwenken in einen zupackenden Gestus oder eine dynamische Steigerung gelingen, ohne zu beschweren. Hemsing und Trpčeski bilden damit nicht nur ein umfassendes Spektrum der Dynamik ab, sondern formulieren spannende (Klang-)Nuancen.

Ein ähnlicher Zauber geschieht im zweiten Satz ‚Allegretto quasi andantino‘: Die leise Melodie in Klavier und Violine ist nur ein Flüstern, das den Hörer noch genauer hinhören lässt, um ja nichts zu verpassen. Der tänzerische Reigen mit seinem volksliedhaften Charakter erklingt in einem herrlichen Kontrast hierzu. Ein weiterer Glanzpunkt der Einspielung ist das ‚Allegretto animato‘ der zweiten Sonate in G-Dur, op 13. Die fröhlichen Rhythmen und das folkloristische Kolorit gelingen dem Duo mit ansteckender Spielfreude und tänzerischem Flair. Beiden schaffen hingegen auch ein müheloses Umschalten in den nachdenklichen Tonfall des Satzes.

Kraftvoller Ton

Wie nicht anders zu erwarten: Das lodernde Feuer der dritten Sonate in c-moll, op. 45 wird von beiden Interpreten entflammt. Wie ein Wirbelsturm beginnt das ‚Allegro molto appassionato‘. Hemsing und Trpčeski spielen sich die einzelnen Phrasen mühelos zu und übernehmen den Gestus des anderen, ob wütend akzentuierter Abwärtslauf oder langsam erwachende Aufwärtsbewegung. Auch die höheren Lage der Geige klingen dabei niemals gequetscht oder gezwungen, sondern mit kraftvollem Ton mit Substanz.

Meisterlich gelingt es dem Duo, mit den verschiedenen Klangnuancen zu spielen und eine enorme Farbenvielfalt zu kreieren. Dabei sind sie nicht auf bloße Effekthascherei aus, sondern erarbeiten eine aufregende und durchdachte Interpretation. Der zweite Satz ‚Allegretto espressivo alla romanza‘ ist eine musikgewordene Träumerei. Trpčeskis weicher, lieblicher Anschlag lädt den Hörenden zum Verweilen ein – und lässt ihn nicht mehr los. Der Dialog der Instrumente entfaltet sich nahtlos, schwerelos und mit einem ausgezeichneten Spannungsbogen. Das Finale der dritten Sonate, ein ‚Allegro animato’, führt diese Grieg-Interpretation zu einem krönenden Abschluss.

Juwel

Doch diese Einspielung hält ihr wahres Juwel bis zum Ende zurück: Einen sphärischen wie virtuosen Abschluss findet sie in der Eigenkomposition ‚Homecoming‘ von Eldbjørg Hemsing selbst. Es ist ihr erstes Werk für Violine solo und zelebriert das musikalische Erbe, wie sie selbst es wahrnimmt – und ist dabei sicherlich auch eine Hommage an den Landsmann Grieg, der dieselbe Melodie fast 150 Jahre früher in seiner großformatigen Ballade op. 24 erklingen ließ. Mit ruhigem, fließendem Ton stellt sich die Melodie vor, die sich zunehmende in immer virtuosere Klänge und die Mehrstimmigkeit variiert.

Fazit Hier liegt eine außergewöhnlichen Aufnahme der Grieg’schen Violinsonaten vor, die für gleich mehrere Entdeckungen sorgen kann: Zum einen für die Entdeckung des Sonatenkomponisten Grieg und für die Entdeckung einer jungen, fabelhaften Geigerin.

Interpretation:

★★★★★

Klangqualität:

★★★★


Repertoirewert:

★★★★★


Booklet:

★★★★